0. Geduld und Gelassenheit ;-)
Bleib aber geduldig. Mit dir selbst und mit allen anderen. Die Situation ist für die meisten von uns eine Überforderung. Diese können wir nicht besser lösen, wenn wir gegenseitigen Druck ausüben. Am Anfang ist es wahrscheinlich, dass vieles noch nicht
so läuft, wie man sich das gedacht hat. Das ist okay. Gib dir und den anderen Zeit zum Anpassen.
Bob Blume (Netzlehrer), Quelle
1. "Semesterapparate" werden evtl. nicht reichen
Die bisher meist als Unterstützung der Präsenzlehre konzipierten Moodle-Kurse werden in diesen Zeiten alleine wohl nicht ausreichen, um eine Aufrechterhaltung der Lehre zu gewährleisten. Meist werden darüber Ankündigungen verschickt und Materialien
zur Verfügung gestellt. Ohne die entspr. Präsenzveranstaltungen können damit die Inhalte evtl. nicht adäquat vermittelt werden.
Auf der anderen Seite drängt allerdings die Zeit, bis zum Vorlesungsbeginn weitere Inhalte zu generieren - und es fehlen evtl. die Kenntnisse, um diese Aufgabe zu bewältigen. Natürlich können jetzt nicht die Versäumnisse der letzten Monate und Jahre bzgl.
der Digitalisierung in wenigen Tagen kompensiert werden, daher ist eine Anpassung des Lehrveranstaltungskonzeptes und eine Abwägung von Machbarkeit und Aufwand sinnvoll.
2. Eins-zu-eins-Digitalisierung geht nicht
Natürlich könnte man (theoretisch) statt der Präsenzveranstaltung jede Woche 90 Min. lange Videos vorproduzieren oder Live-Videokonferenzen durchführen, die Sprechstunden und all die kleineren Gespräche "zwischen Pult und Tür" in Diskussionsforen abbilden
und auch für alle weiteren kleinen Bestandteile des "Gesamtpaketes Präsenzlehre" digitale Entsprechungen suchen.
Man wird aber recht schnell feststellen, dass Fernunterricht völlig anders funktioniert als Präsenzunterricht und dass nicht alle Eventualitäten einfach "übersetzt" werden können. Viele Dinge, die in der Präsenzsituation einfach zu handhaben sind (Zwischenfragen,
nonverbale Kommunikation, Identifizierung von Verständnisproblemen anhand von z.B. Mimik der Teilnehmenden, eine "schnelle Skizze" an der Tafel, etc.), haben oft keine Entsprechung in der Fernlehre.
Und: Das Einarbeiten in Videokonferenzsysteme, die Nutzung von Foren und Chats, das digitale Einsammeln von Ausarbeitungen, die Produktion digitaler Inhalte u.v.m. benötigen Zeit und Personal, welches in der aktuellen Situation nur eingeschränkt zur Verfügung
steht.
3. "Failing forward" - Machen Sie Fehler!
Und - keine Sorge - das werden Sie höchstwahrscheinlich ;-) und das ist nicht nur ok, sondern sinnvoll. Auch Ihre erste Präsenzveranstaltung war höchstwahrscheinlich nicht Ihre beste...
Sie verlassen Ihre gewohnte Arbeitsumgebung "Klassenraum" und verlagern Ihre Lehre unter neuen Bedingungen in ungeübte Settings. Wer noch nie eine Videokonferenz geleitet hat, wer noch nie eine ausufernde Forendiskussion moderiert hat, wer noch nie -
jenseits von Texten und Abbildungen - Lehrmedien produziert hat (z.B. Audio- und Videoaufnahmen), wird kleine und größere Fehler machen. Und dazu lernen. Und es beim nächsten Mal anders versuchen. Und dann evtl. besser sein...
Um die Fehlerkultur an Hochschulen ist es angeblich nicht immer gut bestellt. Umso mehr gilt momentan: Tauschen Sie sich aus, vernetzen Sie sich, berichten Sie von Ihren Erfahrungen, vom Scheitern und vom Umgang damit, nehmen Sie Ideen der Kolleg/-innen
und Studierenden auf, seien Sie offen für neue Lehr- und Arbeitsmethoden.
Probieren geht manchmal tatsächlich über studieren ;-)
4. Das Ende des Frontalunterrichts...
Verabschieden Sie sich evtl. vom vortragsbasierten Frontalunterricht - denn jetzt wöchentliche 90-Minuten-Vortragsaufzeichnungen oder Videokonferenzen statt Vorlesungen zu planen, kann Sie technisch und zeitlich überfordern - und auch Ihre Studierenden:
Die Aufmerksamkeit von Lernenden ist außerhalb des "Klassenraums" noch mehr ganz anderen Ablenkungen ausgesetzt. Die Vermittlung von Lehrinhalten wird also auf diese Weise evtl. nicht wie gewohnt funktionieren.
Bedenken Sie auch: Welche (tlw. informellen) Vermittlungskanäle brechen weg, welche neuen stehen zur Verfügung? Zwischenfragen in den Präsenzveranstaltungen, Gespräche "auf dem Flur", der allgemeine "Studierenden-Flurfunk" finden nicht mehr statt; dafür
können das wöchentliche Video-Update, der tägliche 09:00-Uhr-Chat, die Forenkommunikation, die E-Mail-Verteilerliste, die Messenger-Gruppe hinzukommen.
Die Vermittlung Ihrer Lehrgegenstände wird sich wahrscheinlich hin zu einer eigenverantwortlicheren Aneignung seitens Ihrer Studierenden verlagern.
5. Selbstlernen benötigt Begleitung
Die Verlagerung von vortragsbasierten Methoden hin zu eigenverantwortlichen Arbeitsweisen der Studierenden benötigt allerdings eine besondere Begleitung durch Lehrende. Die bereits 1993 von Alison King formulierte Forderung
From sage on the stage to guide on the side
King, Alison (1993), in: College Teaching 41 (1). 30-35.
meint - stark verkürzt - auch die Änderung der Lehrendenrolle von "allwissenden Erklärenden" hin zu einer "coach-artigen Lernbegleitung". Die Diskussion um die Rolle der Lehrperson in Lernprozessen wird auch heute noch (z.B. im Zusammenhang mit Inverted
Classroom-Szenarien) tlw. erbittert geführt, bekommt jetzt aus aktuellem Anlass allerdings neuen Schwung.
Durch die Verlagerung des Lernprozesses weiter in die Eigenverantwortung der Lernenden und den Wegfall von persönlichem Kontakt kommt der Moderation und Hilfestellung, dem Lernenden-Coaching und der Begleitung im Lernprozess eine deutlich wichtigere Rolle
zu.
Bedenken Sie in diesem Zusammenhang aber auch: Berufsbegleitend Studierende, (Allein-) Erziehende (Schulschließung!), Studierende mit älteren Verwandten und andere Studierendengruppen haben jetzt evtl. auch andere Sorgen als die Regelstudienzeit...
6. Welcher Inhalt kann wie vermittelt werden?
Wenn Sie alle relevanten Informationen verschriftlichen, generieren Sie riesige Textwüsten. Wenn Sie dagegen "nur" Skript und Folien verteilen, fehlen Inhalte. Wenn Sie dagegen alle bisher mündlich vorgetragenen Informationen auf Video aufnehmen, ist
das auch nicht gerade praktikabel - und Sie geben den Studierenden ein teilweise "undankbares" Medium an die Hand: Videos lassen sich zwar immer wieder schauen, aber nur ungenau vor- und zurück spulen, man kann sie nicht durchsuchen und keine Rückfragen
stellen.
Daher ist eine Abwägung, welche Inhalte auf welche Weise unter welchen technischen Voraussetzungen und mit welchem Zeitaufwand in welchem Umfang abgebildet werden können, notwendig.
7. Klare Ansagen: Zeiten, Aufgaben, Erwartungen.
Umso wichtiger ist es, dass alle Arbeitsaufträge, Fristen, Zeiten und Erwartungen klar und deutlich formuliert sind. Aus "Schreiben Sie mal [...] und bringen Sie das irgendwann zu einer der nächsten Sitzungen mit" muss ein "Formulieren Sie auf max.
3 Din A4 Seiten [...] und laden Sie diese Ausarbeitung im PDF-Format (max. 2MB) im Online-Kurs in das Forum XY bis spätestens zum dd.mm.jjjj um hh:mm Uhr hoch."
Diese etwas überspitzte Darstellung soll Folgendes deutlich machen: Treffen Sie klare Verabredungen, z.B. zum wöchentlichen Arbeitspensum, seien Sie auf den angebotenen Kanälen auch erreichbar, vereinbaren Sie evtl. Reaktionszeiten für E-Mail und
Foren-Anfragen, machen Sie deutlich, unter welchen Bedingungen die Distanzlehre in Ihrem Fach funktionieren kann - und unter welchen nicht.
8. Geben Sie Zwischenfazits und Feedback.
Die Studierenden sind dagegen tlw. tagelang mit den angebotenen Lehrmaterialien "allein gelassen" - auch die Lerngruppen, der Austausch mit Kommiliton/-innen auf dem Campus, in der Mensa, in den Lernräumen entfällt. Diese Distanzen (es heißt nicht
umsonst "Distanzlehre") können durch klare Kommunikation, Moderation und Feedback teilweise überbrückt werden.
Umso wichtiger ist ein enger Kontakt zu den Studierenden (bzgl. des Lernfortschritts). Wenn Sie Wissensüberprüfungen anbieten oder eine Möglichkeit, zu den Materialien Fragen zu stellen, nehmen Sie sich Zeit für aussagekräftige Rückmeldungen. Diese Austausche sollten in recht kurzen Zeitabschnitten erfolgen (z.B. eine "Fragerunde" zu jedem Wochen-Arbeitspaket, o.ä.). Wenn ein Studierender auf dem Weg durch das Semester durch Denkfehler oder die Aneignung falschen Wissens "verloren
geht", lässt er sich über die Entfernung besonders schlecht wieder "einfangen".
Für regelmäßige Rückmeldungen ist evtl. die Umstrukturierung Ihrer Lehrinhalte in "mehrere Häppchen pro Woche" sinnvoll. Das kann (oder "muss" z.B. in Anbetracht des um 4 Wochen verkürzten Sommersemesters 2020) entweder mit einer Komprimierung des Lehrstoffs oder einer Ausweitung der Selbstlernanteile einhergehen.
9. Binden Sie Studierenden ein.
Ihre Studierenden nutzen wahrscheinlich WhatsApp (Signal, Threema, Telegram, [Messenger hier einsetzen]), Videotelefonie (FaceTime, Skype, Jitsi, o.ä.), Facebook, "Insta" und anderen Netzwerke, nutzen selbstverständlich Dropbox, GoogleDrive, iCloud, OneDrive und/oder andere Cloud-Dienste, u.v.m., evtl. GitHub, CodePen, WordPress, YouTube oder Vimeo, Prezi, Sketchfab, Google Docs, ...
Diese Liste lässt sich wohl unendlich fortführen und steht sinnbildlich dafür, dass sich Ihre Studierenden evtl. ganz gut mit diesen "Neuen Medien" auskennen. Vielleicht lassen sich bei Ihren Studierenden auch Ideen
- für die Zusammenarbeit (z.B. Padlet, Etherpad, Office Online, Trello, ...),
- für Übungen (z.B. Kahoot, LearningApps, H5P, ...),
- für Materialsammlungen (z. B. Pocket, Adobe Spark, ...) oder
- für Organisatorisches (z.B. Doodle, yourlist, Video- oder Bildbearbeitungs-Apps)
abgreifen.
Darüber hinaus ist es sicherlich eine Überlegung wert, in seminaristischer Arbeitsweise auch Inhalte von Studierenden erarbeiten und/der aufbereiten zu lassen: Kleine Erklärvideos oder vertonte Präsentationen erstellen Ihre Studierenden wahrscheinlich relativ routiniert und können diese via Moodle den anderen Studierenden zukommen lassen. Das ist auch didaktisch i.S. des "Lernens durch Lehren" sinnvoll: Wer etwas erklären möchte, muss recht tief in der Materie stehen...
Aber: Nur weil es geht, heißt das nicht zwangsläufig, dass es auch sinnvoll ist. Überfrachten Sie Ihre "neue" Online-Lehre nicht mit allen dieser fancy neumodischen Tools. Verfallen Sie nicht in die sog. "Toolifizierung". Konzentrieren Sie sich auf eine für Sie und Ihren Lehrgegenstand sinnvolle Herangehensweise. Überlegen Sie, welche Medien und Plattformen für Ihr Lehr-Lern-Setting geeignet ist.
10. Nutzen Sie bestehende Inhalte
Das Internet ist übrigens voll mit Content ;-) - YouTube-Videos, Wikipedia-Artikel, Veröffentlichungen, ganze Kurse (z.B. tlw. kostenfreie MOOCs auf Coursera, edX, openHPI, oncampus, iMooX, iversity, OPEN vhb, opencourseworld, udacity, ...) können genutzt werden, bevor das "Rad ein zweites Mal erfunden" werden muss.
11. Vermeiden Sie Dokumentenhalden
Vermeiden Sie ein "hier hab ich noch 1.268 PDF, die im weitesten Sinne etwas mit dem Thema zu tun haben - die schiebe ich mal auf die Lernplattform". Gerade durch die Distanz zu den Studierenden ist eine zielgerichtete Versorgung mit relevanten Materialien sinnvoll. Kennzeichnen Sie Ihre Materialien in z.B. drei Stufen: "Pflicht/prüfungsrelevant", "Vertiefung" und "weiterführende Infos" (Das ist ein Vorschlag, keine Vorschrift) und sorgen Sie so für eine ausreichende Kategorisierung.
Versuchen Sie, sich in einen Studierenden zu versetzen: Die gesamten ca. 20 bis 35 SWS des Semesters (je nach Studienform und -gang) sollen online studiert werden. Sie können durch entspr. Strukturierung den Querlese-, Sortier- und Recherche-Aufwand verringern.
12. Plattform-, Geräte- & Technikvoraussetzungen
Man muss wohl einen Internetzugang und ein internetfähiges Endgerät bei allen Studierenden voraussetzen. Darüber hinaus sind allerdings viele Dinge zu beachten, z.B.:
- begrenztes Datenvolumen, wenn der Internetzugang über das Mobilfunknetz vorgenommen wird,
- verschiedene Bildschirmgrößen von 4K-Monitor bis Smartphone-Display,
- versch. Betriebssysteme und Software (z.B. werden Microsoft Office Dateien auf einem iPad oft mit fehlerhafter Formatierung dargestellt), oder
- Inkompatibilitäten bzgl. Plugins (z.B. Flash, Java) und Dateiformaten (z.B. *.wmv auf "Nicht-Windows-Geräten").
Texte sollten - soweit möglich - als Webseite (z.B. in Moodle; dann HTML) oder als PDF (plattformunabhängig) distribuiert werden, Bilder als jpg oder png. Videos sollten als mp4 (Videostream: h.264/h.265, Audiostream: AAC) oder webm (Videostream: VP8/VP9, Audiostream: Vorbis) verteilt werden.
Tipps zur Videokonvertierung finden Sie weiter unten.
Sprechen Sie mit den Studierenden ab, ob Spezialformate (z.B. OneNote: *.onepkg, CAD: *.dwg) zu öffnen sind und stellen Sie - so weit nötig und möglich - evtl. Alternativen bereit.